Mein Eindruck von Santiago hat sich vom ersten bis zum letzten Tag meines
Aufenthalts um 180 Grad gewendet. Im Winter schien mir die Stadt grau und
ungemütlich, im Sommer dagegen
lebendig und grün. Sicherlich hat dies auch viel
damit zu tun, dass ich mich am Ende sehr wohlgefühlt und gut eingelebt hatte.
Ich möchte euch hier noch ein paar mehr Eindrücke von dieser tollen Stadt, in der ich die letzten fünf Monate verbracht habe, vermitteln.
Meine ersten Tage hier verbrachte ich ausschließlich zwischen der CEPAL und
unserer Wohnung, also in den wohlhabendsten Stadtvierteln Providencia und
Vitacura. Entsprechend überrascht war ich über die Sicherheit, die Sauberkeit,
die geschniegelten und gebügelten Leute, etc. Ich erinnere mich, dass ich am
ersten Tag regelrecht Angst bekam, als ich bemerkte, dass es während der
Arbeitszeit schon dunkel wird und ich im Dunkeln nach Hause gehen musste.
Anschließend erfuhr ich, dass das hier in diesem Stadtteil überhaupt gar kein
Problem ist. Allerdings ist Santiago die Stadt mit dem höchsten Level an
Ungleichheit und Abgrenzung zwischen den sozialen Schichten innerhalb der OECD.
Gleichzeitig ist es eine der sichersten Städte Lateinamerikas – allerdings nur
in den oben genannten, wohlhabenden Vierteln.
Eine interessante Erfahrung war es deshalb für mich, an einigen Wochenenden
mit einer kirchlichen Gemeinde zu kochen und das Essen an Bedürftige zu
verteilen. Diese Gruppe trifft sich jeden Sonntagabend in einer Küche der
Kirchgemeinde und kocht und verpackt etwa 200 Portionen. Danach wird das Essen
sowie auch Tee und Kaffee an drei Orten verteilt: am zentralen Markt La
Vega und an zwei Krankenhäusern in den Vierteln Independencia und Santiago
Centro. Dies lies mich eine ganz andere Seite von Chile kennenlernen, von
welcher man sich im Leben der "High Society" der UN total abkapseln
kann. Es ist einerseits erschreckend, wie die Leute auf der Straße leben, und
gleichzeitig schön, zu sehen, wie dankbar sie den Leuten sind, die ihnen helfen
möchten.
Tagsüber ist es sehr angenehm, auf dem Markt La Vega einkaufen zu gehen; nachts ist es allerdings nicht empfehlenswert, sich in diesem Viertel aufzuhalten.
Außerdem war es interessant, im Rahmen der Recherche für meine Masterarbeit
das Viertel La Pintana kennenzulernen,
welches als eines der ärmsten und gefährlichsten der Stadt gilt. Die NGO World
Vision, deren Projekte ich für meine Abschlussarbeit untersuche, setzt sich
dort für die Bildung und den Schutz der Kinder vor Ort ein. In einer Präsentation
während einer Versammlung der dort tätigen Organisationen erfuhr ich, welches
die dringendsten Probleme der Kommune sind. Diese reichen von häuslicher Gewalt
über ein mangelndes Kultur- und Bildungsangebot bis hin zu frühem Kontakt mit
Alkohol und Drogen. In den von Müll überhäuften Straßen gibt es außer dem
zentralen Marktplatz wenige Möglichkeiten, wo die Kinder spielen können, und
selbst dort trauen sich viele nicht hin, weil es zu gefährlich ist.
Ein weiterer Ausdruck der bestehenden Ungleichheit und Armut, welche man
von außen in dem ach so weit entwickelten Land Chile gern mal übersieht, sind
die informellen Siedlungen, genannt Campamentos.
Früher auch Poblaciones Callampas genannt,
weil sie in den 60er bis 80er Jahren wie Pilze über Nacht aus dem Boden
geschossen sind. Mit Sozialwohnungen hat man versucht das Problem zu lösen, doch
2005 gab es noch 450 Campamentos mit mehr als 8000 Familien.
Ein weiteres noch ungelöstes Problem stellt die Luftverschmutzung dar. Man
ist sich dabei allerdings uneins ob diese vor allem durch das hohe
Verkehrsaufkommen oder eher durch im Stadtgebiet angesiedelten Industrien
verursacht wird. Sicher ist, dass sie sich durch die ungünstige Lage Santiagos
in einem von Bergen umschlossenen Becken noch verschlimmert und vor allem im
Winter die verschmutze Luft durch darüber liegende, kältere Luftschichten am Aufsteigen
gehindert wird.
Anfangs war ich etwas überrascht, so viele Fahrradfahrer in Santiago zu
sehen. Teilweise wird es für die Leute aber wohl einfach die schnellste und unkomplizierteste
Variante sein, sich durch den grausigen Stadtverkehr zu schlagen. Die meisten
nehmen immer noch das Auto, welches in Chile ein Statussymbol ist. Je größer
desto besser, auch wenn gänzlich ungeeignet für den Stadtverkehr. Eine gute
Alternative ist da die Metro. Allerdings kollabiert die regelmäßig zu den
Stoßzeiten und es macht wenig Spaß morgens zwischen schlecht gelaunten, aggressiven
Leuten eingequetscht zu sein, nachdem man schon vier Metros abwarten musste,
weil keiner mehr reinpasste.
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