Mittwoch, 18. Dezember 2013

Santiago

Mein Eindruck von Santiago hat sich vom ersten bis zum letzten Tag meines Aufenthalts um 180 Grad gewendet. Im Winter schien mir die Stadt grau und ungemütlich, im Sommer dagegen 
lebendig und grün. Sicherlich hat dies auch viel damit zu tun, dass ich mich am Ende sehr wohlgefühlt und gut eingelebt hatte. Ich möchte euch hier noch ein paar mehr Eindrücke von dieser tollen Stadt, in der ich die letzten fünf Monate verbracht habe, vermitteln.

Meine ersten Tage hier verbrachte ich ausschließlich zwischen der CEPAL und unserer Wohnung, also in den wohlhabendsten Stadtvierteln Providencia und Vitacura. Entsprechend überrascht war ich über die Sicherheit, die Sauberkeit, die geschniegelten und gebügelten Leute, etc. Ich erinnere mich, dass ich am ersten Tag regelrecht Angst bekam, als ich bemerkte, dass es während der Arbeitszeit schon dunkel wird und ich im Dunkeln nach Hause gehen musste. Anschließend erfuhr ich, dass das hier in diesem Stadtteil überhaupt gar kein Problem ist. Allerdings ist Santiago die Stadt mit dem höchsten Level an Ungleichheit und Abgrenzung zwischen den sozialen Schichten innerhalb der OECD. Gleichzeitig ist es eine der sichersten Städte Lateinamerikas  allerdings nur in den oben genannten, wohlhabenden Vierteln.

Eine interessante Erfahrung war es deshalb für mich, an einigen Wochenenden mit einer kirchlichen Gemeinde zu kochen und das Essen an Bedürftige zu verteilen. Diese Gruppe trifft sich jeden Sonntagabend in einer Küche der Kirchgemeinde und kocht und verpackt etwa 200 Portionen. Danach wird das Essen sowie auch Tee und Kaffee an drei Orten verteilt: am zentralen Markt La Vega und an zwei Krankenhäusern in den Vierteln Independencia und Santiago Centro. Dies lies mich eine ganz andere Seite von Chile kennenlernen, von welcher man sich im Leben der "High Society" der UN total abkapseln kann. Es ist einerseits erschreckend, wie die Leute auf der Straße leben, und gleichzeitig schön, zu sehen, wie dankbar sie den Leuten sind, die ihnen helfen möchten.

Tagsüber ist es sehr angenehm, auf dem Markt La Vega einkaufen zu gehen; nachts ist es allerdings nicht empfehlenswert, sich in diesem Viertel aufzuhalten.

Außerdem war es interessant, im Rahmen der Recherche für meine Masterarbeit das Viertel La Pintana kennenzulernen, welches als eines der ärmsten und gefährlichsten der Stadt gilt. Die NGO World Vision, deren Projekte ich für meine Abschlussarbeit untersuche, setzt sich dort für die Bildung und den Schutz der Kinder vor Ort ein. In einer Präsentation während einer Versammlung der dort tätigen Organisationen erfuhr ich, welches die dringendsten Probleme der Kommune sind. Diese reichen von häuslicher Gewalt über ein mangelndes Kultur- und Bildungsangebot bis hin zu frühem Kontakt mit Alkohol und Drogen. In den von Müll überhäuften Straßen gibt es außer dem zentralen Marktplatz wenige Möglichkeiten, wo die Kinder spielen können, und selbst dort trauen sich viele nicht hin, weil es zu gefährlich ist.

Ein weiterer Ausdruck der bestehenden Ungleichheit und Armut, welche man von außen in dem ach so weit entwickelten Land Chile gern mal übersieht, sind die informellen Siedlungen, genannt Campamentos. Früher auch Poblaciones Callampas genannt, weil sie in den 60er bis 80er Jahren wie Pilze über Nacht aus dem Boden geschossen sind. Mit Sozialwohnungen hat man versucht das Problem zu lösen, doch 2005 gab es noch 450 Campamentos mit mehr als 8000 Familien.


Ein weiteres noch ungelöstes Problem stellt die Luftverschmutzung dar. Man ist sich dabei allerdings uneins ob diese vor allem durch das hohe Verkehrsaufkommen oder eher durch im Stadtgebiet angesiedelten Industrien verursacht wird. Sicher ist, dass sie sich durch die ungünstige Lage Santiagos in einem von Bergen umschlossenen Becken noch verschlimmert und vor allem im Winter die verschmutze Luft durch darüber liegende, kältere Luftschichten am Aufsteigen gehindert wird.


Anfangs war ich etwas überrascht, so viele Fahrradfahrer in Santiago zu sehen. Teilweise wird es für die Leute aber wohl einfach die schnellste und unkomplizierteste Variante sein, sich durch den grausigen Stadtverkehr zu schlagen. Die meisten nehmen immer noch das Auto, welches in Chile ein Statussymbol ist. Je größer desto besser, auch wenn gänzlich ungeeignet für den Stadtverkehr. Eine gute Alternative ist da die Metro. Allerdings kollabiert die regelmäßig zu den Stoßzeiten und es macht wenig Spaß morgens zwischen schlecht gelaunten, aggressiven Leuten eingequetscht zu sein, nachdem man schon vier Metros abwarten musste, weil keiner mehr reinpasste.


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